Wednesday, April 20, 2011

 

Birth of Tragedy

Excerpts from Friedrich Nietzsche, The Birth of Tragedy (1872), tr. Francis Golffing:

III:
The gods justified human life by living it themselves—the only satisfactory theodicy ever invented. To exist in the clear sunlight of such deities was now felt to be the highest good, and the only real grief suffered by Homeric man was inspired by the thought of leaving that sunlight, especially when the departure seemed imminent.

So rechtfertigen die Götter das Menschenleben, indem sie es selbst leben—die allein genügende Theodicee! Das Dasein unter dem hellen Sonnenscheine solcher Götter wird als das an sich Erstrebenswerthe empfunden, und der eigentliche Schmerz der homerischen Menschen bezieht sich auf das Abscheiden aus ihm, vor allem auf das baldige Abscheiden.
X:
It is the sure sign of the death of a religion when its mythic presuppositions become systematized, under the severe, rational eyes of an orthodox dogmatism, into a ready sum of historical events, and when people begin timidly defending the veracity of myth but at the same time resist its natural continuance—when the feeling for myth withers and its place is taken by a religion claiming historical foundations.

Denn dies ist die Art, wie Religionen abzusterben pflegen: wenn nämlich die mythischen Voraussetzungen einer Religion unter den strengen, verstandesmässigen Augen eines rechtgläubigen Dogmatismus als eine fertige Summe von historischen Ereignissen systematisirt werden und man anfängt, ängstlich die Glaubwürdigkeit der Mythen zu vertheidigen, aber gegen jedes natürliche Weiterleben und Weiterwuchern derselben sich zu sträuben, wenn also das Gefühl für den Mythus abstirbt und an seine Stelle der Anspruch der Religion auf historische Grundlagen tritt.
XV:
Practically every era of Western civilization has at one time or another tried to liberate itself from the Greeks, in deep dissatisfaction because whatever they themselves achieved, seemingly quite original and sincerely admired, lost color and life when held against the Greek model and shrank to a botched copy, a caricature. Time and again a hearty anger has been felt against that presumptuous little nation which had the nerve to brand, for all time, whatever was not created on its own soil as "barbaric." Who are these people, whose historical splendor was ephemeral, their institutions ridiculously narrow, their mores dubious and sometimes objectionable, who yet pretend to the special place among the nations which genius claims among the crowd? None of the later detractors was fortunate enough to find the cup of hemlock with which such a being could be disposed of once and for all: all the poisons of envy, slander, and rage have proved insufficient to destroy that complacent magnificence.

Fast jede Zeit und Bildungsstufe hat einmal sich mit tiefem Missmuthe von den Griechen zu befreien gesucht, weil Angesichts derselben alles Selbstgeleistete, scheinbar völlig Originelle, und recht aufrichtig Bewunderte plötzlich Farbe und Leben zu verlieren schien und zur misslungenen Copie, ja zur Caricatur zusammenschrumpfte. Und so bricht immer von Neuem einmal der herzliche Ingrimm gegen jenes anmaassliche Völkchen hervor das sich erkühnte, alles Nichteinheimische für alle Zeiten als "barbarisch" zu bezeichnen: wer sind jene, fragte man sich, die, obschon sie nur einen ephemeren historischen Glanz, nur lächerlich engbegrenzte Institutionen, nur eine zweifelhafte Tüchtigkeit der Sitte aufzuweisen haben und sogar mit hässlichen Lastern gekennzeichnet sind, doch die Würde und Sonderstellung unter den Völkern in Anspruch nehmen, die dem Genius unter der Masse zukommt? Leider war man nicht so glücklich den Schierlingsbecher zu finden, mit dem ein solches Wesen einfach abgethan werden konnte: denn alles Gift, das Neid, Verläumdung und Ingrimm in sich erzeugten, reichte nicht hin, jene selbstgenugsame Herrlichkeit zu vernichten.
XVIII:
Nothing can be more terrible than a barbaric slave class that has learned to view its existence as an injustice and prepares to avenge not only its wrongs but those of all past generations.

Es giebt nichts Furchtbareres als einen barbarischen Sclavenstand, der seine Existenz als ein Unrecht zu betrachten gelernt hat und sich anschickt, nicht nur für sich, sondern für alle Generationen Rache zu nehmen.
XXIII:
Yet every culture that has lost myth has lost, by the same token, its natural, healthy creativity. Only a horizon ringed about with myths can unify a culture.

Ohne Mythus aber geht jede Cultur ihrer gesunden schöpferischen Naturkraft verlustig: erst ein mit Mythen umstellter Horizont schliesst eine ganze Culturbewegung zur Einheit ab.
Id.:
Man today, stripped of myth, stands famished among all his pasts and must dig frantically for roots, be it among the most remote antiquities. What does our great historical hunger signify, our clutching about us of countless other cultures, our consuming desire for knowledge, if not the loss of myth, of a mythic home, the mythic womb? Let us ask ourselves whether our feverish and frightening agitation is anything but the greedy grasping for food of a hungry man.

Und nun steht der mythenlose Mensch, ewig hungernd, unter allen Vergangenheiten und sucht grabend und wühlend nach Wurzeln, sei es dass er auch in den entlegensten Alterthümern nach ihnen graben müsste. Worauf weist das ungeheure historische Bedürfniss der unbefriedigten modernen Cultur, das Umsichsammeln zahlloser anderer Culturen, das verzehrende Erkennenwollen, wenn nicht auf den Verlust des Mythus, auf den Verlust der mythischen Heimat, des mythischen Mutterschoosses? Man frage sich, ob das fieberhafte und so unheimliche Sichregen dieser Cultur etwas Anderes ist als das gierige Zugreifen und Nach-Nahrung-Haschen des Hungernden.



<< Home
Newer›  ‹Older

This page is powered by Blogger. Isn't yours?